Donnerstag, 6. Februar 2020 - 19:30
60 Jahre »antisemitische Schmierwelle« - nicht nur ein Jahrestag
Zum Jahresbeginn 1960 rollte, ausgehend von der Schändung der Kölner Synagoge, eine Welle antisemitischer Manifestationen durch die Bundesrepublik - ein Ereignis, in dessen Folge sich grundlegende Konflikte um den Umgang mit Antisemitismus herauskristallisierten, die bis heute Spuren hinterlassen haben. Am Weihnachtsabend 1959 pinselten zwei junge Männer die Worte »Deutsche fordern Juden raus« an die Tür der Synagoge in Köln. Diese war wenige Monate zuvor in Anwesenheit von Bundeskanzler Adenauer eingeweiht worden, um auszudrücken, dass Deutsche dergleichen nicht mehr fordern.
Die offizielle Absage an den Antisemitismus, ein allenfalls formelles Schuldbekenntnis bei voller Integration nazistischer Funktionsträger in die Republik hatte eine erhebliche Spannung zwischen der Oberfläche (Anerkennung jüdischen Lebens in Deutschland) und dem, was darunter lag, erzeugt. Die sofort einsetzende öffentliche Empörung über die Kölner Tat konterkarierend, rollte Anfang 1960 eine Welle von antisemitischen Manifestationen über Stadt und Land. Sie ist bis heute als »antisemitische Schmierwelle« bekannt. Die Bezeichnung korrespondiert mit der Lesart, es habe sich um Taten »ungezogener Lümmel« gehandelt, die die Wände vollschmierten.
Die »Welle« diente zur Einübung bis heute erkennbarer Umgangsweisen: Antisemitische Manifestationen wurden zurückgedrängt - die zwei Männer wurden rasch und verhältnismäßig hart bestraft -, Antisemitismus aber zugleich zum Randphänomen erklärt. Verantwortlich gemacht wurden wahlweise »Halbstarke« oder kommunistische Provokateure. So mussten das antisemitische Wollen und die Genese antisemitischer Einstellungen nicht thematisiert werden.
Die Dynamik der »antisemitischen Schmierwelle« 1959/60, ihre Erscheinungsformen im Großraum Frankfurt, die dominanten gesellschaftlichen Deutungsmuster, die sozialwissenschaftliche Untersuchung durch das Frankfurter Instituts für Sozialforschung (IfS) und die daran anschließende linke Theoriebildung werden wir in dieser Veranstaltung thematisieren und mit dem Publikum diskutieren.
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